Der Morgen, wie er meistens ist




Es ist 6.30 Uhr. Der Wecker geht immer eine Viertel Stunde vor, damit der Geist, wenn er morgens erwacht, denkt, er sei schon zu spät, um am Ende Glücklich zu bemerken, das man nun doch noch Zeit hat.
Der erste Wecker klingelt. Meistens höre ich ihn gar nicht, erst den zweiten, der kurz vor 7 Uhr losgeht.
Diesen höre ich dann auch, wälze mich kurz in seine Richtung, stosse ihn aus.
Noch ein paar Minuten.

Drehe mich wieder zurück, decke mich richtig zu, es ist kalt geworden, wo man vor dem Schlaf noch angenehm sich ohne Decke fühlte.
Die ersten beiden Wecker sind natürlich solche, die immer wieder schreien , was mich auch schon oft gerettet hat.
Denn ausgestellt ist eine Weckmaschine schnell, und viele geben keine zweite Chance.
Der Dritte Wecker vollbringt seine Funktion.
Was heißt Wecker. Eigentlich ist es ein Radio, so eingestellt, der so Laut ist, den Ton der Worte oder der Musik deutlich zu verzerren. Das war dann auch der Letzt.
Wenn ich den nicht höre, sollte ich entweder zu einem Arzt gehen und mich krank schreiben lassen, eine angemessene Ausrede finden oder direkt aufs Arbeitsamt, was neues suchen. Der grelle Ton lässt mich erwachen in der Gewissheit, keine Zeit mehr zu genießen, ich muss eilen.
Kälte umarmt mich, lässt mich zittern, es ist dunkel draußen. Ich suche den Lichtschalter, suche die Toilette auf, einerseits mich vom Nächtlich angesammelten Ballast zu befreien, andererseits, mich in der kurzen Zeit noch ein wenig zu säubern, diesen Schalen Geschmack aus meinem Mund zu duschen, rauszubürsten.
Wo ist die Hose? Wo ist der Schlüssel? Eine Frage, die oft sich stellt, hat man es eilig. Und trotz das sie neben dir liegt, ich könnte fast schon darauf fallen, es springt mir ins Gesicht, kann ich diese Dinge nicht immer gleich finden. Die Zeit, sie schwindet.
Angezogen bin ich jetzt, letzte Überprüfung, was habe ich alles bei mir, was brauche ich, darf ich nicht vergessen. Letzter Check. Positiv, alles bei mir tragend. Was mir nun noch fehlt, auf das kann und muss ich wohl verzichten an diesem Tage, denn meine Arbeitsstelle ist etliche Kilometer weg von mir Daheim.
" Minus 3 Minuten"
denke ich noch bei mir, als ich meine Wohnung mit schnellen Schritten verlasse, ich in Richtung Auto stolpere.
Drei Minuten.
Kann ich das wieder aufholen. Etliche male ist es mir schon gelungen.
Kommt auf den Verkehr auf den Strassen an. Manchmal sind die Strassen so frei, das man gar nicht glaubt, wie schnell es gehn kann, manchmal so zu, das es einem wie eine Ewigkeit vorkommt, riesige Karavanen, Lastwagen auf dieser, unendlich wirkenden, keine Überholspur besitzenden, Bundesstrasse.
Tempo 70 , überholen ist unmöglich, denn wenn die Strecke endlich gerade übersichtlich wird, ist auf der Gegenspur, wo gerade, als man noch nichts sehen konnte, nichts riskierte, niemand fuhr, eine neue Schlange Gegenverkehr zu sehen, lässt mich verzweifeln.
"Minus 4 Minuten".
Eigentlich hole ich mir, wenn Zeit ist, gerne an der Aral-Tankstelle (ohne Werbung machen zu wollen, die haben echt ein super Angebot, auch was Getränke angeht. Etwas Teuer vielleicht.) etwas zu Frühstücken, daheim blieb ja keine Zeit.
Doch die Zeit ist schon zu weit fortgeschritten. Was sind schon 4 Minuten denke ich dann manchmal, wenn ich etwas traurig und voller Hunger und Durst vor rüber fahre, wenn man die Weite des Universums betrachtet, die Zeit ihrer Herkunft beachtet. Doch nur eine Minute scheint eine ganze Firma, wie es manchmal scheint, fast in den Ruin zu treiben. Auf jeden Fall den Chef in den Wahnsinn.
"Minus 3 Minuten" wieder.
Ich bin jetzt auf der Autobahn, pachte für die Strecke, so gut es geht die linke Spur, beschleunige und bremse hart, wenn jemand mit nicht mal der halben Geschwindigkeit die Linke Seite ebenfalls für sich erkoren, obwohl doch auf der rechten schon Spinnweben zu wachsen scheinen.
Manchmal verständlich. Auf der rechten Fahrspur, von leuchtenden Markierungspfeilern abgeriegelt, Straßenbauer gerade picknicken, was ich ihnen allerdings nicht vergönne, obwohl ich dann gerne mitspeisen wollte.
Dafür habe ich gerade meine zweite Zigarette angezündet, spüre noch ein wenig das Kratzen, Nachwirkung der vorigen Nacht in den Lungen.
"Minus 2 Minuten".
1000 Meter bis zur Autobahnausfahrt, überhole ich noch einige Lkw, im Sinn, das diese bloß nicht vor mir fahren in der Stadt, komme ich danach an eine Ampel, die lange Rot, aber dafür umso kürzer Grün anzeigt. Mal abgesehen von den vielen Fahrzeugen, die auch als Ziel die Arbeit haben, oder einfach spazieren fahren, was ich mir allerdings um diese Zeit nicht denken kann.
Knapp habe ich das Grün verpasst, stehe ich nun vorne in der Schlange.
Biege ein in meinen Weg, ernte noch ein wenig Zeit, immer mit dem Gefühl, fotografiert zu werden.
"Minus 1 Minute".
Noch ein paar Strassen, dann bin ich angekommen. Noch eine Ampel, dann ist es geschafft. Und wie so oft, bin ich mal wieder auf dem letzten Drücker angekommen, als hätte ich das alles so geplant.
Ziehe mich noch kurz um, und kann nun endlich meine erste Pause des heutigen Tages genießen.

Vielleicht.
Eine wunderschönen "Guten Morgen" an all die Geplagten wünscht euch euer Luc. Der nächste Morgen kommt bestimmt, die erste Pause auch.


Luc 19.10.2000



Mail an Luc zu dem Text "Der Morgen wie so oft ist"